04.09.11

Studi-KZ und Face(book)fuck

Die Titelwahl mag im ersten Moment etwas schockieren. Was, KZ und Fuck, fragt man sich irritiert. Und doch, bei genauerer Überlegung kristallisieren sich eindeutige Parallelen heraus. Das als KZ titulierte „Social Network“ Studi-VZ beispielsweise. In den Konzentrationslagern der Nazi's mussten die länger Inhaftierten sich fotografieren lassen. Die so entstandenen Bilder könnte man gleichsetzen mit den selbst-veröffentlichten „Profilbildern“, nur das die Menschen in Auschwitz sicherlich das schlechtgelaunte Äquivalent der meist grinsenden oder ganz cool schauenden Menschen sind die sich dort im VZ präsentieren wollen. Schon beim betreten des VZ's erscheint einem die penetrant anmutende Frage: „Bist du schon drin?“, die gleichzusetzen wäre mit dem zynischen Spruch Rudolph Höß: „Arbeit macht Frei.“ oder umgedeutet „Bist du schon tot? Schon frei vom Leben?“ Ja, bist du schon drin in diesem selbstgewählten Netzwerk? Bist du schon frei von deiner Individualität? Hast du dich schon eingereiht in Kolonne der Menschen die sich freiwillig entblößen? 
Waren die Inhaftierungsgründe in den KZ's meist banale Anhängsel eines Menschen wie z.B. das er Homosexuell war oder die Jüdische Religion trug, so sind die „Profilgruppen“ im Studi-VZ maßgeblich für eine „individuelle Profilgestaltung“. Der freiwillig eingelieferte entblößt somit seinen Charakter oder möchte einfach irgendetwas witzig finden. Irgendwo dran teilhaben. Irgendwo dazugehören. Eine Meinung teilen. Eine Meinung haben? Selbstverständlich projizieren die Gruppen eine Meinung z.B. das Hans Peter es nicht gut findet, wenn Morgens die Vögel singen. Erstaunlicherweise stellt sich bei weiterer Stichprobenartigen Analyse heraus, dass auf recht vielen Profilen immer die gleichen Gruppen erscheinen. Die Individualität besteht also im Detail und nicht deshalb, weil jemand in Gruppe XY ist oder wie in den KZ's ein farbliches Dreieck oder einen gelben Stern zur Identifikation der zugehören Gruppe tragen musste. Ist denn die genauere Betrachtung eines Menschen durch sein Profil überhaupt möglich? Kann man jemanden ohne Kommunikation via Gesicht ansehen was dieser für ein Typus ist, wenn dieser jemand in ebenfalls gestreifter Kleidung und geschorenem Kopf neben einem in der Kälte friert? Als alternative Eventualität könnte es höchsten sein, dass der Individualitätsberaupte VZ-Besucher sich sehr darüber freut jemanden gefunden zu haben der erstaunlicherweise die gleichen Interessen teilt.
Facefuck ist nun die erweiterte Version des „sozialen Netzwerkes“, das ausgebaute Birkenau II, wenn man so möchte. Was im Studi-VZ noch an Privatsphäre aufrecht erhalten werden konnte wird hier von der Facefuck-Gestapo lächelnd ignoriert. Bilder werden länger gespeichert als nötig und was mit den eigenen Daten passiert schwebt auch in Ungewissheit.
Der freiwillig Inhaftierte zwängt sich auf Servern wie ein Häftling in enge Baracken. Wen man eventuell kennen könnte und wen man anscheinend anschreiben soll wird einem direkt auf die Nase gebunden. Platz für eine abwägende Entscheidung mit wem ich meine Holzpritsche oder eben das Profil teilen möchte wird durch die ungeheure Flut an zu-kennenden Menschen ausgebootet. Jemand der als „Freund“ in der Kartei geführt wird muss hinzugefügt werden. Ein Prozess der jeglichem wirklichem sozialen Kontakt mit einem mir sympathisch gewordenen Menschen völlig eliminiert. Ein Zähler gibt mir sogar an wie viele man davon besitzt, wie viele in dieser Baracke hausen. Aha, 991 „Freunde“. Die Namen könnten bei dieser Flut getrost verschwinden. Die bloße Kommunikation mit irgendwem steht im Vordergrund. Das fast schon zwanghafte Mitteilungsbedürfnis des Menschen. Und wenn aus der Baracke plötzlich Nummer 123456 verstorben ist dann wird dies ebenso wenig realisiert als wenn „Freund“ Nummer 326 nun nicht mehr Online ist. Kappt man die selbsterzwunge Verbindung zu diesem Netzwerk, so existiert man nicht mehr. Der Kontakt zu dieser parallelen Gesellschaft ist getrennt. Man ist noch da, man lebt weiterhin, also existiert man ja doch irgendwie, aber halt nur in der realen Welt und das ist doch heute wirklich langweilig, oder?

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