28.08.11

Eine Party ist keine Waldorfschule

Kann eine Feier mit Waldorfschülern überhaupt gut werden, frag ich mich auf dem Weg zu Ruben. Oder sollte ich lieber ohne Vorurteile und mit den Worten Lessings: „Sind es nicht auch Menschen“ an die ganze Sache rangehen? Überraschen lassen heißt hier die Devise!
Es ist der 23te Dezember, arschkalt, überall liegt Schnee und in meinem schwarzen Mantel fühle ich mich ein bisschen wie ein Wehrmachtssoldat der durch Stalingrad stolpert.
Ruben, der vollständig Ruben Maria Moses Autsch heißt und zu allem Überfluss auch noch auf die Waldorfschule musste feiert in seinen Geburtstag hinein, was in Anbetracht seines Namens und des Geburtstagsdatums irgendwie einen seltsamen religiösen touch bekommt. Hat er eigentlich viel gelitten beim Tanzen seines Namens, sinniere ich als ich bei ihm klingel.
Ich bin der erste, wir trinken Bier, essen Hackfleischbällchen und quatschen ein bisschen. Seiner Aufforderung „Bitte Musik selbst mitbringen.“, bin ich natürlich lebhaft gefolgt und lege eine mitgebrachte Oasis CD auf. Ja, genau eine CD! Rund und mit Loch! Kein ipod! Die Gitarren schrammeln und die ersten Gäste trudeln ein. Ich schüttel irgendwelchen Leuten die Hand und habe beim nächsten Schluck Bier schon wieder alle Namen vergessen. „Brain“ begrüßt mich, ein Schulkamerad aus der Fachoberschule. Wir rauchen auf dem Balkon und stellen uns danach ins Wohnzimmer, etwas abseits der ganzen Leute die wir nicht kennen. >>Geil man. Du hast ja Nirvana mitgebracht. <<, gibt mir Brain zu verstehen. Wir wechseln die CD und grölen etwas zu „In Bloom“. Aus dem Esszimmer kommen leicht verdutze Blicke. „YEEAAHHHYEEAAHH“ !


Wir trinken, reden über tote Mukke und freuen uns über den immensen Biervorrat der unbedingt vernichtet werden muss. Weitere Gäste klingeln und auch das Wohnzimmer füllt sich langsam. Ruben klopft mir auf die Schulter und sagt sichtlich erheitert:>> Heute Abend sind wir wohl in der Überzahl was? Mehr Waldorfschüler als staatliche. << Alle grinsen und lächeln sich wie die besten Philanthropen an. >Hitler war auch am Anfang in der Überzahl!!! <, möchte ich rufen nur um ihnen das Grinsen auszutreiben. Aber ich trinke lieber einen Schluck Bier. Ist wohl besser. Zu viel negatives kommt hier bestimmt nicht an. Sind ja keine staatlichen Schüler.
Im Hintergrund läuft „Polly“ und irgendjemand fragt in die Runde ob das nicht ein bisschen zu ruhig sei. Ich sag ihm, dass der Song von Nirvana ist. Er grinst mich debil an und in seiner Visage zeigt sich das dieser Mensch niemals die Kraft verzerrter Gitarren, Drogen und dreckigem Sex verstehen wird. >>Mögt Ihr Black eyed peas? <<, fragt er ein paar Mädchen, die wie kleine Pfadfinderinnen um ein unsichtbares Feuer sitzen. >>Jaaaaaaaa. <<, kommt von denen zurück, so als hätte er angeboten ihnen die Füße zu massieren. Brain und ich gehen rauchen und lassen den verwirrten Kerl mit seiner Pfadfindergruppe am Leben.
>>Sind irgendwie komisch diese Waldorfmenschen <<, merkt er auf dem Balkon an. Ich nicke zustimmend und er fügt hinzu:>>Naja, genug Bier haben wir ja, aber Lust mich zu benehmen hab ich trotzdem nicht. <<
Wieder in der Wohnung schüttelt mir Dennis, auch ein Klassenkamerad, die Hand. Wir setzen uns wieder ins Wohnzimmer und hören im Hintergrund irgendwelche Pop Beats die nicht recht zu meinem Bier passen wollen.
Dennis und ich reden etwas über Dante und wie krank seine Höllenvisionen waren, während neben mir eine Geräuschwand aus lautem Mädchengegacker über Schminktipps und sonst was entsteht. >Meine Herren, die Definition von Ironie. <, denke ich und höre Dennis weiter zu, der jetzt über irgendwelche utopischen Filme redet.
Meine Blicke schweifen so durch die Runde und es hat fast den Anschein als würden Ruben, Brain, Dennis und ich das ganze Bier alleine vernichten müssen. Keine schlechte Prognose.
Die Mädchen trinken Beck`s Gold, die Jungs Wein und alle sehen so lieb und freundlich aus, als würden sie jeden Abend Rolf Zuckowski zum Einschlafen hören.
Ich weiß nicht mehr wer es war, jedenfalls haben wir (bis auf Ruben) bemerkt, dass wir alle preußische Wurzeln haben und erörtern in einem Atemzug die Fehler von Hitlers Russlandfeldzug. Zu viel Schnee ist unser einstimmiges Resultat. Ja wir wären bestimmt tolle Offiziere gewesen. Genauso trinkfest, was uns nebenbei bemerkt schon leicht abstoßende Blicke der meisten Gäste einbringt. Oder es ist die Tatsache, das ich in der Wohnung immer noch meine schwarze Wollmütze trage, da mich ein Mädchen anspricht warum ich sie denn nicht abnehme. Meine Antwort lässt sie ebenso debil grinsen wie den Nirvana-Pfadfinder: >>Weil meine Haare aussehen wie Dresden 45. <<
Die Party nimmt ihren Lauf und mit einem Mal ist es 0 Uhr. Ruben wird von allen herzlich beglückwünscht und ich trinke mein gefühltes 800tes Bier.
Der Rest des Abends lässt sich kurzfassen. Bier trinken, rauchen gehen, hin und wieder ein Hackfleischbällchen. Alles vermischt mit pseudo- intellektuellem Gerede an dem witzigerweise nur die staatlichen Schüler beteiligt sind. Verständlich meiner Meinung nach. Wer hat auch Lust über Namenstänze, Bastelideen, Baumpflanzen, Schminktipps usw. zu reden, wenn im Hintergrund irgendwelche Beats kommen die sich anhören wie ein und derselbe Song.
Es wird spät, die Menschen verschwinden und ich finde mich mit Brain, Ruben und zwei Mädchen in seinem Wohnzimmer wieder. Ich lege eine Chopin CD ein, die mein Geschenk an Ruben war und nach ca. 5 min. sagt eines der Mädchen: >>Oohh, bei sowas bekomm ich immer Kopfschmerzen. << Ich schmettere ein betrunkenes >>Du hast doch keine Ahnung zurück!!! <<, woraufhin eine Musikdiskussion entbrennt in der sich herausstellt, dass beide die Beatles, Queen und keine Klassik mögen. Selbstverständlich spielen beide kein Instrument, geben mir aber vehement zu verstehen, dass sie Ahnung von Musik hätten. Meine Theorie ist eher die der totalitären Geschmacksverirrung. Ich möchte weiter diskutieren, bin aber viel zu betrunken. Es kommt nur noch unzusammenhängendes Zeug aus meinem Mund, wobei mir der Gedanke kommt, dass eine Belehrung der beiden ungefähr so erfolgreich verlaufen würde, wie einem Blinden Picasso oder einem Tauben Beethoven zu erklären.
Die Bahn der beiden kommt. Sie verabschieden sich kurz mit einem >>Tschüssii. << und ich wünsche ihnen den Tod, nur damit ich voller Inbrunst den „Marche Funebre*“ von Chopin auf ihrer Beerdigung klimpern kann. In schwarzem Mantel für die gewisse Theatralik versteht sich.
Brain und ich sind die letzten und als ich schon etwas eingeschlummert in Rubens Couch versunken bin, erklingen die Töne von Meat loafs Album „Bat out of Hell II“ was mich wieder „Hell“wach werden lässt. Ich nehme mir mein 900tes Bier und wir hören das Album komplett durch. Wann hat man denn schon mal Zeit für sowas ?
Es ist 7 Uhr morgens. Brain und ich haben uns verabschiedet. Wir torkeln durch den Schnee mit einer wohligen inneren Wärme vom Alkohol. Ich bringe ihn zum Bahnhof, wanke nach Hause, lege mich ins Bett, schließe die Augen und singe Brechreiz unterdrückend: >>In der Weihnachtsbäckerei, gibt’s so manche Leckerei...<<

* Marche Funebre = Todesmarsch (Sonate Op. 35)

1 Kommentar:

  1. Der pure Hass an der Trivialität der Menschen ^^ herrlich !!! Nur nen bissel viel Kriegsmetaphern ...naja was hat man auch anderes erwartet :D

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